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- Grüne Energien – jetzt erst recht
- Der russische Angriff auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Energiesouveränität ist zu einer Frage der nationalen und europäischen Sicherheit geworden.
- „Die vollständige Umstellung auf Erneuerbare Energien wird nicht von heute auf morgen gelingen“, ist Fondsmanager Tim Bachmann überzeugt. Die Pläne der Politik seien ambitioniert, aber machbar.
- Anlässlich des „Earth Day“ am 22. April erläutert Bachmann die Chancen, die die Energiewende mit sich bringt, und welche Hürden dabei zu meistern sind.
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Herr Bachmann, der Krieg in der Ukraine bringt nicht nur Zerstörung und unermessliches Leid über die Bevölkerung, er hat auch massive Auswirkungen auf die Energiemärkte und bedroht hierzulande die Versorgungssicherheit. Wie beurteilen Sie die Lage?
Man muss die wirtschaftliche Lage aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Zum einen hat sich der Auftrieb bei den Energiepreisen durch die geopolitischen Spannungen verschärft. Unternehmen mit hohem Gasverbrauch, die ihren Bedarf preislich für dieses und kommendes Jahr nur unzureichend abgesichert haben, könnte eine zusätzliche Belastung ihrer Profitabilität bevorstehen, vor allem, wenn die Gaspreise längerfristig hoch bleiben. Das haben die Aktienmärkte inzwischen zum Teil eingepreist. Betroffen davon sind nicht nur beispielsweise Stahlunternehmen oder Verpackungshersteller, sondern im Nachhaltigkeitssegment auch Firmen wie Dämmstoffanbieter, die für die Herstellung von Steinwolle oder Glaswolle viel Gas benötigen. Die andere Perspektive ist das Thema Versorgungssicherheit und Energieautarkie, das zuletzt in den Vordergrund gerückt ist.
Hat dieser stärkere Fokus auf die Energiesouveränität in Deutschland und Europa, Auswirkungen auf die Energiewende?
Erneuerbare Energien können nicht nur aufgrund ihrer finanziellen Vorteile punkten, sondern auch, weil sie wegen ihrer dezentralen Erzeugung die Versorgung unabhängiger machen. Mehr Unabhängigkeit strebt auch die EU mit ihrem Mitte März vorgestellten Plan REPowerEU an. So soll die Nachfrage nach russischem Gas in den kommenden zwölf Monaten um zwei Drittel sinken, bis 2030 will man ganz weg von russischen Gaslieferungen. Ziel ist es, die Versorgungslücke dieses letzten Drittels über eine eigene Biomethan-Produktion sowie durch grünen Wasserstoff zu schließen. Das ist Wasserstoff, der ausschließlich mit Hilfe von Ökostrom gewonnen wird. Längerfristig, so der Plan, soll zudem die Industrie von Gas auf Strom und Wasserstoff umstellen. Die politischen Ambitionen sind hoch, und diese Umstellung wird nicht von heute auf morgen gelingen. Zum einen fehlt die Infrastruktur, zum anderen die nötigen Fachkräfte. Jetzt zeigt sich, wie wichtig es ist, die Energiewende entschieden voranzutreiben.
In Deutschland wird diskutiert, Kohlemeiler als Alternative zu Gaskraftwerken länger am Netz zu halten. Werden die Klimaziele hierzulande und auf der internationalen Agenda durch den Ukraine-Krieg nach hinten rutschen?
Die Diskussion ist schon vorher aufgekommen, nachdem die EU in ihrer sogenannten Taxonomie[1] Gas und Kernkraft als „grün“ klassifiziert hat und Investitionen in diese Bereiche unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich gelten. Das sollte aber nicht als Vorwand genutzt werden, um hier verstärkt zu investieren. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der Großteil der Investitionen in Erneuerbare Energien erfolgen sollten. Gas und Kohle werden als Übergangstechnologie für die Grundlast bei der Stromerzeugung wichtig sein, solange Wind- und Solarstrom nicht ausreicht und in großem Stil gespeichert werden kann. Am Ende ist es eine politische Frage, wann man aus den fossilen Brennstoffen aussteigen will. Da muss man abwägen zwischen Versorgungssicherheit und den Klimazielen. Vielleicht müssen wir die Klimaziele ein bis zwei Jahre nach hinten schieben, um danach verstärkt in den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu investieren. Bei der Kostendiskussion darf man nicht vergessen, dass der Aufbau einer nachhaltigen Energiewirtschaft ein enormes Potenzial mit sich bringt, das das Wirtschaftswachstum ankurbeln und mehr Beschäftigung schaffen dürfte.
„Jetzt zeigt sich deutlich, dass man in der Vergangenheit verpasst hat, die Energiewende entschiedener voranzutreiben.“
Der Ausbau Erneuerbarer Energien dümpelte in Deutschland zuletzt vor sich hin, sowohl bei der Windkraft, als auch bei der Solarenergie. Mit seinem Anfang April vorgestellten „Osterpaket" will Wirtschaftsminister Habeck die Energiewende beschleunigen. Das Gesetzespaket gilt als die größte energiepolitische Novelle seit Jahrzehnten. Was sind für Sie die wichtigsten Punkte?
Für mich umfasst das Paket drei wesentliche Punkte: Zum einen hat man sich dazu bekannt, 80 Prozent des Stroms bis 2030 aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen und sogar 100 Prozent bis 2035. Das erfordert einen beschleunigten Ausbau der Windkraftkapazitäten von derzeit 56 auf 115 Gigawatt. Um das zu erreichen, will die Regierung den Ausbau der Kapazitäten in den nächsten Jahren von zwei auf sechs Gigawatt jährlich verdreifachen. Bei den Solaranlagen soll die Kapazität sogar von knapp 60 auf 215 Gigawatt erhöht werden. Bislang werden diese Ambitionen noch vom regulatorischen und gesellschaftlichen Gegenwind gebremst. Deshalb, und das ist der zweite Punkt, strebt die Regierung an, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und Kommunen sowie Städte an Wind- und Solarparkprojekten finanziell zu beteiligen, um so möglicherweise weitere Flächen für den Ausbau der Windkraft zu erschließen. Und drittens wurde das Thema Photovoltaikanlagen auf den Dächern angegangen. Hier hat das Auslaufen der Einspeisevergütung zuletzt dazu geführt, dass viele private Bauherren viel weniger neue Solaranlagen installiert haben.[2]
Wie schnell werden sich die im Osterpaket formulierten Ziele realisieren lassen?
Man muss zwischen dem kurzfristig zyklischen Gegenwind und den strukturellen Hindernissen unterscheiden. Für den zyklischen Gegenwind sind die Kosten für Wind- und Solaranlagen verantwortlich, die über die gesamte Wertschöpfungskette im vergangenen Jahr stark gestiegen sind wie beispielsweise bei Polysilizium, Stahl oder bestimmten Seltenen Erden wie Neodymen. Es kam zu Projektverschiebungen, weil die Betreiber nicht mehr die gleichen Renditen wie in den vergangenen fünf bis zehn Jahren erzielen konnten. Strukturelle Hürden sind vor allem die schleppenden Genehmigungsverfahren, die einschließlich des Entwicklungsprozesses bis zu sieben Jahre dauern können. Hier hat man sich auch auf europäischer Ebene zum Ziel gesetzt, das Verfahren auf ein Jahr zu verkürzen, indem man neue Mitarbeiter in öffentlichen Ämtern einstellt und das Zulassungsverfahren zentralisiert und verstärkt digitalisiert. Auch die Wertschöpfungsketten sind zum strukturellen Problem geworden. Daher resultieren die Bestrebungen, mehr Vorleistungen wieder im eigenen Land zu erbringen, um die Abhängigkeit von asiatischen Zwischenkomponenten zu verringern. Bei Windanlagen ist das schon ganz gut gelungen. Weitere strukturelle Schwachpunkte sind der Fachkräftemangel und nicht zu vergessen der mangelnde Netzzugang. Es hilft nicht, in großem Stil Wind- und Solarparks zu bauen, wenn wir den Strom nicht weitertransportieren können. Da brauchen wir mehr Zugangspunkte, Hochspannungsleitungen und Speicherlösungen im industriellen Maßstab.
Es hilft nicht, in großem Stil Wind- und Solarparks zu bauen, wenn wir den Strom nicht weitertransportieren können.“
Die Stromproduktion ist nur ein Sektor, in dem eine Menge passieren muss. Vor allem in der Industrie, beim Verkehr und im Gebäudesektor herrscht weiterhin großer Nachholbedarf. Könnte der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur hier Abhilfe schaffen?
Wasserstoff ist eines der Themen, das Investoren zunehmend bewegt. Grundsätzlich herrscht die Überzeugung, dass das eine Schlüsseltechnologie auf dem Weg zur nachhaltigen Energiewirtschaft ist. Aber: Für den klimaneutralen grünen Wasserstoff braucht man Unmengen Strom aus regenerativen Quellen. Die dafür nötigen Kapazitäten sind heute in den Planungen so gut wie gar nicht berücksichtigt. Um das mit einer Zahl zu unterlegen: Wenn man die gesamte Chemie, Stahl- und Düngemittelindustrie in Deutschland mit Hilfe von grünem Wasserstoff dekarbonisieren wollte, bräuchte man etwa zusätzlich 100 Terawattstunden Strom pro Jahr aus Erneuerbaren Energien. Das entspricht dem Volumen an grünem Strom, den wir 2020 insgesamt in Deutschland gewonnen haben. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Elektrolyse und für den Transport noch zu hoch sind, weil die Skaleneffekte fehlen. Ich gehe davon aus, dass sich der grüne Wasserstoff in Deutschland erst ab dem Jahr 2030 rechnen dürfte. Bis dahin bräuchten wir dann aber auch die nötige Infrastruktur. Im Verkehrssektor denke ich, kann Wasserstoff seine Vorteile auf der langen Strecke im Schiffsverkehr und beim Gütertransport ausspielen und perspektivisch auch in der Luftfahrt. Für Pkws ergibt Wasserstoff ökonomisch aber keinen Sinn.
Wo sehen Sie im Kampf gegen den Klimawandel derzeit Anlagechancen und Risiken?
Nachdem im Jahr 2020 mit grünen Technologien gute Renditen erzielt werden konnten, kam es im vergangenen Jahr zu einer Korrektur. Das lag zum Teil an der Lieferkettenproblematik, aber auch daran, dass die Erwartungen zu weit vorausgelaufen waren. Diese Korrektur haben wir als Einstiegschance genutzt und vor allem unsere Positionen entlang der Solar-Wertschöpfungskette aufgestockt. Dazu zählen Hersteller von Wechselrichtern oder Solarglasproduzenten genauso wie Solarparkbetreiber, die über eine gute Auftragslage verfügen. Ausgeweitet haben wir unsere Engagements auch im Bereich Energieeffizienz von Gebäuden. Die EU-Initiative „Fit for 55“ hat sich ja zum Ziel gesetzt, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren.[3] Dazu werden nicht nur Dämmstoffe benötigt, sondern auch moderne Haustechnik wie Wärmepumpen oder Klimaanlagen. Anlagen in diesen Bereichen können aber natürlich trotzdem Wertschwankungen unterliegen.
Der Earth Day am 22. April soll jedes Jahr Anstöße für vielfältige Aktionen rund um den Umwelt- und Klimaschutz liefern. Dieses Jahr steht er unter dem Motto „In unseren Planeten investieren“. Alle sind gefragt. Unternehmen, Regierungen und Bürger. Haben Sie schon dazu konkrete Pläne?
Ich brauche eigentlich keinen speziellen Anlass, um mir Gedanken über den eigenen CO2-Fußabdruck zu machen. Der beschäftigt mich schon seit einigen Jahren. Ich habe mir jetzt nach dem Ende der Corona-Maßnahmen vorgenommen, häufiger mit dem Fahrrad ins Büro zu fahren, immerhin eine Strecke von rund 100 Kilometern hin und zurück. Darüber hinaus ist die DWS eine Kooperation mit der Initiative „Healthy Seas“ eingegangen, die sich dem Problem des Plastikmülls im Meer, insbesondere dem Bergen von Geisternetzen, verschrieben hat. Hier werde ich mich demnächst als sogenannter Botschafter weiterbilden und dann Aufklärungsarbeit in Schulen oder Kindergärten betreiben.
„Wir haben unsere Engagements entlang der Solar-Wertschöpfungskette und im Bereich Energieeffizienz von Gebäuden aufgestockt.“
Zur Person
Tim Bachmann ist Analyst für Technologie und Fondsmanager des DWS Invest ESG Climate Tech. Nach seinem Master of Business Administration & Law, Betriebswirtschaft & Recht an der TH Aschaffenburg University of Applied Sciences stieß er im Juli 2012 als Portfolio-Manager zur DWS und verantwortet seit 2018 die Anlagepolitik des DWS Invest ESG Climate Tech. Er investiert weltweit in Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit überwiegend darauf ausgerichtet ist, dem Klimawandel entgegenzuwirken oder dessen Auswirkungen abzumildern.