US-Aktien liegen auch in diesem Jahr wieder deutlich vor europäischen Titeln. Trotz äußerst hoher Bewertungen, niedrigen Risikoprämien und einer verstärkten Konkurrenz durch Zinsanlagen. Finden Sie überhaupt noch aussichtsreiche US-Titel?
Köttner: Es stimmt, an den Aktienmärkten, insbesondere bei US-Technologietiteln, gibt es viel Fantasie, viele gute Nachrichten sind schon eingepreist. Was die Aussichten für den Gesamtmarkt angeht, der ja von einigen wenigen Technologietiteln dominiert wird, bin ich daher auch eher vorsichtig.
Dennoch haben die beiden Aktienfonds, die Sie managen, der DWS Vermögensbildungsfonds I und der DWS ESG Akkumula einen Anteil von etwa 60 Prozent in US-Aktien, warum?
Köttner: Als sogenannter Stock Picker konzentriere ich mich auf die Analyse und Auswahl einzelner Aktien und schaue nicht auf Indizes. Der US-Aktienmarkt bietet – anders als der europäische oder der asiatische – einfach unglaublich viele Geschäftsmodelle. Fast alles, was man sich vorstellen kann, ist an der Börse notiert – selbst Gefängnisse und Bestattungsunternehmen. Die USA werden deshalb für mich voraussichtlich immer der Hauptmarkt bleiben. Bewertungen von Indizes oder deren Kursziele haben für mich nur eine sehr untergeordnete, um nicht zu sagen keine Bedeutung.
Das macht die Aktien aber nicht billiger?
Köttner: Das stimmt. Ein genauerer Blick zeigt aber: Die hohen Bewertungen der Indizes gehen momentan auf nur wenige Werte zurück. Es gibt in den USA meiner Ansicht nach aber immer noch viele aussichtsreiche Titel mit moderaten Bewertungen.
In welchen Branchen?
Köttner: Beispielsweise in der Medizintechnik. Meiner Einschätzung nach sind den Unternehmen hier die Kosten als Folge der Corona-Pandemie erst einmal davongelaufen. Wegen der starken Regulierung konnten sie nicht kurzfristig – so wie dies in vielen anderen Branchen möglich war – mit Preiserhöhungen reagieren. Doch inzwischen ändert sich das, was den Margen der Unternehmen zugutekommen dürfte. Ein weiteres Beispiel sind Unternehmen aus dem Bereich der Basiskonsumgüter, also beispielsweise Hersteller von Lebensmitteln. Hier gibt es Unternehmen mit starken Marken und einem stabilen Geschäft. Solche Werte können häufig gerade in unsicheren Zeiten punkten.
Also haben auch eher konservative Investments einen Charme. Wie halten Sie es mit dividendenstarken Aktien?
Köttner: Die Höhe der Dividende, die ein Unternehmen zahlt, spielt bei meinen Anlageentscheidungen keine Rolle. Meine Gedanken dazu sind folgende: Ein Unternehmen erwirtschaftet einen Cash-Flow. Jetzt hat das Unternehmen mehrere Möglichkeiten. Wenn die Firma sagt, ich kann das gut in mein eigenes Geschäft investieren und erziele damit eine gute Rendite, dann sollten sie eigentlich alles Geld investieren. Das sind die Unternehmen, die mich besonders interessieren. Ich habe aber auch Dividendentitel im defensiveren Teil meines Portfolios. Mein Fokus liegt aber nicht auf der Auswahl von Aktien mit hohen Dividendenrenditen.
In den vergangenen 1,5 Jahren galt das Motto: Wer diversifiziert, verliert – die Wertentwicklung am US-Aktienmarkt und damit auch beim MSCI World wurde nur von einer Handvoll Aktien getragen. Wie ist da ihr Ansatz?
Köttner: Also ich diversifiziere. Das ist der Grundgedanke der Fonds, die ich manage. In meinen Fonds halte ich zwischen 120 und 150 Werten. Die Diversifikation drückt sich aber nicht nur in der Anzahl der Titel aus. Ich variiere auch nach Sektoren und Stilen. Ich bin ein langfristiger Investor mit einem Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren. Um dem gerecht zu werden, verfolge ich bei den Fonds eine sogenannte Barbell-Strategie (Barbell: englisch für Hantel).
Was heißt das konkret?
Köttner: Ich muss Werte haben, die in steigenden Märkten voraussichtlich gut mithalten können. Das waren zuletzt oft die vielzitierten Technologieaktien. Ich brauche aber auch Werte für Phasen, in denen es an den Märkten ruppiger wird, die sich dann voraussichtlich gut halten können. Das sind häufig Werte, die im historischen Vergleich nicht so hoch bewertet sind, die auch nicht die dramatischen Wachstumsraten haben, sondern eher ein solides, tendenziell gut vorhersehbares Wachstum. Beispielsweise Unternehmen, die mit ihrem Geschäftsmodell von einer steigenden Weltbevölkerung profitieren.
Woran liegt es, dass sogenannte Momentum-Aktien so erfolgreich sind? Und verdrängen Anleger, dass das Momentum auch ins Negative ausschlagen kann, mit rasanten Kursverlusten?
Köttner: Das ausgeprägte Momentum, das wir jetzt schon seit geraumer Zeit sehen, hängt zu einem erheblichen Teil mit Indexfonds zusammen. Wenn sich Indizes ändern, kann dies zu enormen Volatilitäten am Markt führen. Bei passiven Investments fließt natürlich immer sehr viel Geld in die großen Titel, eben weil die ein so hohes Gewicht in einem Index haben. Die Popularität von Themenfonds ist ebenfalls ein Faktor. Manche der großen Tech-Titel, die jetzt so gut gelaufen sind, passen unter irgendeinem Aspekt beinahe zu jedem Thema. Das führt dazu, dass Titel, die sowieso schon jeder auf dem Radar hat, noch mehr nachgefragt werden. So werden die Kurse noch weiter nach oben getrieben. Und ja, natürlich kann das Momentum auch ins Negative ausschlagen.
Welche Regionen sind für Sie noch interessant? Wie sieht es beispielsweise mit Europa aus?
Köttner: Europa ist für mich die zweitwichtigste Anlageregion mit vielen interessanten Unternehmen.
Trotz der Schwäche im Technologiebereich?
Köttner: Ja, trotzdem. Es ist richtig: In den Bereichen Technologie, Biotech und Internet gibt es in Europa wenig interessante Unternehmen. Das liegt maßgeblich an der deutlich stärkeren Regulierung in Europa. Es gibt aber diverse andere Branchen, in denen europäische Unternehmen eine sehr gute Rolle spielen – Basiskonsumgüter, Luxusgüter, Gesundheitswesen, Maschinenbau, Ingenieurswesen oder Industrie. Dort gibt es eine Vielzahl von äußerst konkurrenzfähigen, rentablen Unternehmen. Als globaler Fondsmanager stelle ich mir immer die Frage: Wo liegen die Stärken einer Region? Dort investiere ich dann auch.
Der japanische Aktienmarkt gehörte in den vergangenen 18 Monaten zu den Top-Märkten weltweit. Wie sind hier die Perspektiven?
Köttner: Der japanische Aktienmarkt ist sehr gut gelaufen, aber nur in lokaler Währung. Für den Euro-Anleger sah das schon nicht mehr so gut aus, weil der Yen so massiv abgewertet hat und die Kursgewinne in Euro gerechnet deshalb zusammengeschrumpft sind. Dennoch: Japan hat tolle exportorientierte Unternehmen, die zudem von dem schwachen Yen profitiert haben. Ich finde den Markt insgesamt spannend. Allerdings muss man hier stark differenzieren. Denn es gibt auch Branchen – Eisenbahnen und Banken zum Beispiel – die ihr Geschäft praktisch ausschließlich in dem gesättigten Heimatmarkt betreiben. In diesen Bereichen bin ich nicht investiert.
Chinesische Aktien haben sich dagegen in den letzten drei Jahren äußerst schlecht entwickelt. Ist hier eine Trendwende in Sicht?
Köttner: Ich bin momentan nicht in China investiert. Ich habe alle Positionen mit Beginn des Ukrainekriegs verkauft. Fundamental gesehen gibt es in China zwar eine Vielzahl sehr attraktiver Geschäftsmodelle, die es verdient hätten, fünf bis zehnmal so hoch bewertet zu sein. Aber man muss sehen: Staatliche Eingriffe haben schon in der Vergangenheit immer wieder für unliebsame Überraschungen gesorgt. Das wird von Kapitalanlegern nicht gerne gesehen. Die Frage ist letztlich doch: Was besitze ich wirklich als ausländischer Investor? Die chinesische Regierung hat Teile der Wirtschaft in den letzten Jahren – bildlich gesprochen – wieder in einen Käfig gesperrt und gibt manchen Unternehmen stärker vor, was sie mit ihrem Cash-Flow machen müssen, um ganz China zu helfen. Das mag für das Land die richtige Strategie sein, aber für das Einzelunternehmen beziehungsweise für den Aktionär ist das natürlich eine Unbekannte, eine Unplanbarkeit, die fast zwangsläufig zu einem deutlichen Bewertungsabschlag führt.
Demokratie versus Autokratie – inwieweit beeinflusst das die Chancen von Aktien?
Köttner: Wenn man sich in der Historie die erfolgreichsten Kapitalmärkte der Welt ansieht, dann waren das meiner Ansicht nach Demokratien. Die USA sind natürlich das Paradebeispiel. Bei Autokratien wird man sich immer die Frage stellen müssen: Wenn die mal Geld brauchen, machen die etwas, was dem Aktionär, insbesondere dem ausländischen, schaden könnte?
Zum Schluss: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Dos and Dont`s für Anleger?
Köttner: Erstens: Wer ein Vermögen aufbauen möchte, der kommt am Aktienmarkt nicht vorbei. Zweitens: Die Vermögensstruktur muss stimmen. Ist das nicht so, kann sie sukzessive angepasst werden, zum Beispiel mittels eines Sparplans. Man sollte nicht ständig auf den Aktienmarkt schauen und sagen: Der Markt ist zu teuer, da investiere ich lieber nicht beziehungsweise da verkaufe ich. Wer dauernd kauft und verkauft, läuft Gefahr, die Gewinner zu verkaufen und die Verlierer zu behalten. Drittens: Man muss versuchen, die Psychologie auszuschalten, auch wenn das schwer ist. In der Literatur gibt es den Begriff des Snake-Bite-Effekts. Wenn man mit einem Bereich einmal schlechte Erfahrungen sprich hohe Verluste gemacht hat, beispielsweise in der Finanzkrise des Jahres 2008, dann gibt es bei vielen Menschen die Tendenz, so etwas künftig nicht mehr zu machen. Aus meiner Sicht wäre es richtig, immer in Aktien engagiert zu sein, auch in schlechten Phasen. Wenn Aktien dramatisch im Kurs fallen, hat man dann immer noch die Option, etwas mehr zu investieren. Denn wer langfristig anlegt, beispielsweise für die Altersvorsorge und Vermögen aufbauen und nicht nur das Kapital erhalten möchte, der kommt an Aktien einfach nicht vorbei. Trotz der Risiken von Kursverlusten, mit denen Aktieninvestments natürlich immer verbunden sind.