04. Mai 2021 Mischfonds

Wie Profis Portfoliorisiken managen

Das Risiko einer Geldanlage kann auf verschiedene Weise abgeschätzt und abgefedert werden. Wie das Fondsmanager tun, erklärt DWS-Risikoexperte Thomas Graby im Interview.

  • Zu den klassischen quantitativen Maßen des Risikomanagements gehören Volatilität, maximales Verlustrisiko und Szenarioanalysen.
  • Berechnete Risikozahlen bedürfen in der Praxis immer auch einer qualitativen Interpretation und sollten in aktuelle Kontexte gesetzt werden.
  • Risikoanalyse hinterfragt immer auch die Renditeerwartungen von Portfoliomanagern – sie sollte nicht nur Verlustrisiken sondern auch Gewinnchancen aufspüren.
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​Herr Graby – im Alltag können wir Risiken gut einschätzen. Das lässt uns etwa links und rechts schauen, bevor wir über die Straße gehen. Aber welches Risiko hat ein Anleger am Finanzmarkt eigentlich, und wie kann es gemanagt werden?

Für Investoren entsteht Risiko zum einen durch die Schwankungsbreite des Werts einer Anlage, also die Volatilität. Zusätzlich ist aber auch der Drawdown, der maximale Wertverlust, den eine Aktie, eine Anleihe, ein Rohstoff oder ein Fonds erleiden kann, ein entscheidendes Risikomaß. Beide Maße sind historisch messbar und für die Zukunft schätzbar. Ich kann sagen: Ein Fonds hat in einer bestimmten Zeit – in einer Woche oder in einem Jahr – um 34 Prozent im Wert geschwankt. Und ich kann auch sagen: Während der letzten Absturzphasen am Markt hat die Anlage maximal um 21 Prozent an Wert verloren. Fondsmanager werden neben der erzielten Rendite normalerweise auch an den historischen Volatilitäten und Drawdowns ihrer Portfolios gemessen. Dabei besteht für sie die Aufgabe, neben der Rendite auch die zukünftigen Volatilitäten und Drawdowns abschätzen und managen zu müssen. Mit entsprechenden Risikomodellen, die diese beiden Risikomaße verarbeiten, kann man solche Abschätzungen erreichen.

Neben der Verarbeitung der Kennzahlen im Modell bedarf es aber auch eines Risikomanagementprozesses, der dem Fondsmanager Anhaltspunkte gibt, wie die Zahlen interpretiert und in Entscheidungen übersetzt werden können. Vor der Definition und Schätzung von Maßzahlen ist also die Festlegung eines Risikomanagementprozesses elementar. Idealerweise sollten dabei zunächst die Risikoziele des Fonds definiert werden, die dann auch zu einem potenziellen Kundenprofil passen müssen. Wenn die Risikoziele des Fonds bekannt sind, können Maßnahmenkataloge erarbeitet und Risikolimits definiert werden. Innerhalb dieser Absteckungen kann dann ein geeigneter Investmentansatz erarbeitet und umgesetzt werden.  

Wie kann der Fondsmanager dann in der Praxis Volatilität und Drawdown innerhalb dieser Absteckungen halten?

Konkret habe ich im Risikomanagement drei Steuerungsmöglichkeiten, um Volatilität oder Drawdown in definierten Grenzen zu halten. Ich kann Risiken ganz oder teilweise vermeiden. Ich kann ausgleichende Effekte nutzen – also zum Beispiel die Diversifikation über verschiedene Anlageformen. Und ich kann mich Absichern – zum Beispiel über Hedging am Terminmarkt. Alle drei Strategien haben grundsätzlich die Möglichkeit positiv auf Volatilität- und Drawdown eines Fonds zu wirken. Üblicherweise sollte ein Fonds also alle drei Strategien einsetzen, um ein möglichst robustes Risikomanagement ausweisen zu können.

Beginnen wir mit der ersten Möglichkeit – Risiken schlicht vermeiden. Wie geht das?

Bei der Vermeidung von Risiken geht es darum, Risiken vor dem Auftreten zu erkennen und entsprechend die Risikotreiber zumindest teilweise zu reduzieren, also von einer bestimmten Investition Abstand zu nehmen, um darüber die Risikoallokation des Fonds flexibel anzupassen. Für die Volatilität heißt das beispielsweise, dass ich auf besonders volatile Einzeltitel verzichte. Für die Dimension des Drawdowns versuche ich typischerweise die Aktienquote antizyklisch zu reduzieren, wenn die Aktienmärkte kurzfristig überhitzen, um von einer kurzfristigen Korrektur weniger stark getroffen zu werden.

Thomas Graby

Fondsmanager DWS Invest Conservative Opportunities

Und wie lässt sich die Diversifikation bei der Risikosteuerung einsetzen?

Dabei geht es darum, das Portfolio mit Bestandteilen zu befüllen, die einen geringen Gleichlauf aufweisen. So können Verluste in Teilen des Portfolios idealerweise durch Gewinne in anderen Teilen mindestens kompensiert werden. Die Schwierigkeit bei dieser Strategie besteht darin, Elemente zu identifizieren, die sich nicht absolut gegenläufig verhalten, denn dann werden die Gewinne in einem Teil immer durch Verluste in einem anderen Teil aufgezehrt. Deshalb sollten idealerweise Anlagekomponenten kombiniert werden, die langfristig positive Renditen erzeugen, aber die Schwächephasen wechselseitig überkompensieren. Persönlich empfinde ich Diversifikationsstrategien als die Königsdisziplin im Risikomanagement im Fondskontext. Das wichtigste Stichwort ist dabei die Unkorreliertheit der Einzelrisiken.

Bei Multi-Asset- und Mischfonds könnte man also zum Beispiel über deren Anlageklassen hinweg diversifizieren?

Richtig. Multi-Asset-Fonds investieren in verschiedene Vermögensklassen, zum Beispiel in Aktien, Anleihen, Edelmetalle oder Immobilien. Wenn diese einzelnen Assets oder Bestandteile zumindest in Stressphasen negativ korreliert sind, also sich in bestimmten Marktphasen gegenläufig verhalten, dann gleichen sich die einzelnen Risiken aus. Solche Diversifizierungseffekte aus dem Anlageuniversum herauszufiltern und einsetzbar zu machen, ist ein weiterer Bestanteil unseres Risikomanagements. Als klassisches Gegensatzpaar mit oft negativer Korrelation in Stressphasen dürfte die Kombination Aktien und Gold bekannt sein.

Beim Corona-Crash im März 2020 haben wir jedoch auch innerhalb der Anlageklasse Aktien Unterschiede aufspüren können. Während die Mehrzahl der Titel starke Kurseinbrüche erlitt, verlief zum Beispiel die Entwicklung bei den Werten von Chipherstellern deutlich sanfter. Und bei der Erholung waren die Technologieunternehmen die Zugpferde, die mit starken Kursgewinnen ausgleichend wirkten. Man hat bei diesem Marktabsturz also gut daran getan, in solchen Unternehmen investiert zu bleiben. Wir suchen darüber hinaus das Aktienuniversum auch anhand bestimmter Faktorkriterien ab, ob also zum Beispiel eine bestimmte Unternehmensgröße – bekannt als ‚Size‘-Faktor – dafür sorgt, dass ein Sektor sich besonders defensiv oder offensiv am Markt verhält. Bindet man solche Erkenntnisse in eine Strategie ein, lässt sich auch damit gezielt Volatilität steuern.

Bleibt noch das Hedging?

Genau. Die Absicherung, auch Hedging genannt, ist die Strategie, die klassischerweise unter Risikomanagement verstanden wird. Das Reduzieren von Risikotreibern, während sie den Fonds belasten, also Verluste bringen oder die Volatilität hoch treiben. Sowohl für die Volatilität als auch für den Drawdown gilt, dass ich als Risikomanager die Positionen und Portfoliobestandteile, die den größten Beitrag zu Volatilität oder Drawdown bringen, typischerweise als erstes absichere oder gar veräußere. Hier helfen uns die vorab definierten Risikolimits, die im Risikomanagementprozess definiert wurden.

Wie nutzen Sie konkret den Terminmarkt, wenn es ans Hedging geht?

Wir sichern uns dort, soweit wir das Instrument einsetzen wollen, über Kontrakte ab. Der Vorteil von sogenannten Put-Optionen liegt zum Beispiel darin, dass sie bei steigender Volatilität einen zusätzlichen Schutz aufbauen. Der Nachteil ist, dass dies nicht die günstigste Variante des Risikomanagements ist. Denn am Terminmarkt absichernde Kontrakte zu erwerben, kostet etwas. Um hier die Kosten auch für unsere Anleger möglichst gering zu halten, nutzen wir vor allem Futures, die im Vergleich zu Optionen kostengünstiger sind.

Pauschal gesagt müssen Risikomanager also in erster Linie gute Statistiker sein, um quantitative Aussagen zu verknüpfen?

Einerseits ja. Zu den quantitativen Techniken des Risikomanagements gehört übrigens auch die Szenarioanalyse, bei der simuliert wird, wie sich ein Portfolio verhalten würde, wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt, also der Dollar zum Beispiel stark nachgibt. Auch das lässt sich in Zahlen ausdrücken. Andererseits steckt hinter dem Risikomanagement in der Praxis weitaus mehr als nur Zahlenberechnungen. Denn wir kombinieren unsere quantitativen immer auch mit qualitativen Einschätzungen. Im Corona-Börsenabsturz im vergangenen Jahr haben wir uns zum Beispiel ad hoc entschieden, trotz des starken Drawdowns der Börse von weit mehr als zehn Prozent unsere Positionen nicht zu stark in wertsichernde Barbestände zu drehen oder die Aktienpositionen komplett abzusichern. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Märkte noch deutlich weiter fallen werden, geringer eingeschätzt als die einer schnellen Markterholung, die wir bei einer zu großen Barposition nicht für unsere Anleger hätten nutzen können.

„Risiko und Rendite stehen immer in Verbindung miteinander."

Thomas Graby, Risk & Portfolio Manager Multi Asset, DWS

Was hat sie da so sicher gemacht – die Märkte waren im freien Fall?

Sicherheit ist hier der falsche Begriff. Wir müssen Szenarien gegeneinander abwägen. Nachdem die Märkte in einem noch nie dagewesenen Tempo gefallen waren, der Liquiditätsdruck auch bei sogenannten ‚sicheren Häfen‘ wie Gold oder US-Staatsanleihen gegen Mitte März zu deutlichen Kursabstürzen führte und die großen Notenbanken begannen Gegenmaßnahmen einzuleiten, bewerteten wir die Wahrscheinlichkeit, dass es eine ebenso schnelle Gegenbewegung geben könnte, deutlich höher. Insofern wäre das höhere Risiko bezüglich des Drawdowns im Vergleich zu Vorkrisenniveaus gewesen, die Aktienpositionen komplett abzusichern und nicht an einer, unserer Meinung nach wahrscheinlichen, vielleicht auch nur teilweisen Erholung der Märkte teilzuhaben. Denn dann wäre der Drawdown des Fonds auf absehbare Zeit etwa auf diesem Niveau verlieben. Hier sieht man bereits, dass Risikomanagement in beide Richtungen notwendig ist, und Risiko und Rendite immer in Verbindung miteinander stehen.

Das Management von Risiken und das Aufspüren von Anlagechancen sind also zwei Seiten einer Medaille?

Das stimmt. Wir aus dem Risikomanagementbereich sehen unseren Auftrag auch darin, aus der quantitativen Brille heraus Anlagevorschläge zu erarbeiten und Chancen aufzuzeigen.

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