Sind Anleihen wieder eine ernst zu nehmende Konkurrenz zu Aktien?
Eichmann: Aus meiner Sicht ja, zumal sich viele Aktienmärkte im bisherigen Jahresverlauf bereits sehr gut entwickelt haben und die Erwartungen der Kolleginnen und Kollegen auf der Aktienseite für den weiteren Jahresverlauf verhalten optimistisch sind. Auf jeden Fall dürften Anleihen in einem Portfolio als Renditebaustein wieder eine wichtige Funktion erfüllen. Sie dürften im Falle eines unerwarteten wirtschaftlichen Einbruchs auch eine gewisse Risikoreduzierung bieten.
So ganz ungetrübt ist das Bild aber nicht. 2023 warfen Staatsanleihen noch ordentliche Renditen ab. Doch im ersten Quartal 2024 war mit ihnen kein Geld zu verdienen. War es das schon?
Eichmann: In den Industrienationen war mit Staatsanleihen im ersten Quartal 2024 kaum Geld zu verdienen, das stimmt. Staatsanleihen aus den Schwellenländern haben sich dagegen zum Teil gut entwickelt. Der Ausblick für „den Rest“ dieses Jahres ist recht positiv, ohne dass ich eine starke Rallye erwarte. Aber ich denke, dass mit sinkenden Zentralbankzinsen um die Jahresmitte in der Eurozone die Renditen von Staatsanleihen mit kürzerer und mittlerer Restlaufzeit fallen und die Kurse steigen dürften. Hinzu kommt, dass die Renditen in den meisten Anlagesegmenten schon recht gut sind. So beträgt die derzeitige Rendite eines typischen Index für kürzer laufende Euro-Staatsanleihen, zum Beispiel des ICE BofA 1-3 Year Euro Government Index, aktuell etwas mehr als drei Prozent – natürlich ist dies nur eine Momentaufnahme und kann sich jederzeit ändern.
Alle Welt scheint von fallenden Zinsen auszugehen. Besteht denn nicht die Gefahr, dass die Zinsen in absehbarer Zeit gar nicht sinken und deshalb auch keine Kursgewinne mit Anleihen drin sind?
Eichmann: Unsere Volkswirte erwarten einen weiteren Rückgang der Inflationsraten in den wichtigsten Industrieländern und gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank ab Jahresmitte die Zinsen senken wird. Das sollte sich auch positiv auf die Anleihemärkte auswirken. Es besteht zwar das Risiko, dass die Inflation, anders als erwartet, nicht sinkt oder sogar wieder steigt. Die Arbeitslosenquote ist in vielen Ländern sehr gering, die Wirtschaft in den USA wächst im Moment stärker als erwartet, so dass das Risiko steigender Inflationsraten nicht ausgeschlossen werden kann. Hinzu kommt, dass die Staatsverschuldung und damit das Emissionsvolumen von Staatsanleihen recht hoch ist. Dies sind die Hauptrisiken für steigende Renditen, aber nicht unser Hauptszenario. Wir erwarten fallende Renditen. Davon sollten die Halter von Anleihen über Kurssteigerungen profitieren.
Welche Länder haben derzeit die attraktivsten Staatsanleihen?
Eichmann: Ich halte derzeit kurzlaufende US-Staatsanleihen für sehr interessant, eben gerade wegen der erwarteten Zinssenkungen durch die US-Notenbank im Laufe des zweiten Halbjahres. Euro-Anleger müssen da allerdings berücksichtigen, dass sie mit dem Dollar ein Währungsrisiko eingehen. Eine Alternative können zweijährige Staatsanleihen aus dem Euroraum sein, für die wir auf Sicht von zwölf Monaten ebenfalls einen positiven Gesamtertrag erwarten. Sie sehen also: Wir favorisieren derzeit Anleihen mit kürzerer oder mittlerer Laufzeit gegenüber Langläufern. Für Staatsanleihen aus den Schwellenländern erwarten wir ebenfalls in vielen Ländern ein sehr positives Ergebnis.
Apropos Schwellenländer – wenn man auf die Ergebnisse der letzten Jahre sieht, ließen sich mit Staatsanleihen aus Schwellenländern häufig deutlich bessere Ergebnisse erzielen als mit ihren Pendants aus den Industrienationen. Wird das so bleiben?
Eichmann: Es stimmt, Staatsanleihen aus den Schwellenländern haben sich zum Teil gut entwickelt und wir sind auch weiterhin verhalten optimistisch für diese Anlageklasse. Eine deutliche Einengung der Zinsaufschläge des Gesamtmarktes im Vergleich zu deutschen oder US-Staatsanleihen erwarten wir nach der zuletzt sehr guten Entwicklung allerdings nicht mehr. Aber grundsätzlich ist es schon so, dass Schwellenländeranleihen Anleger für das höhere Risiko mit Chancen auf einen höheren Gesamtertrag entlohnen.
Wo liegen für Anleger denn die speziellen Risiken bei Anleihen aus Schwellenländern?
Eichmann: Sollten die Zinsen in den USA, anders als von uns erwartet, steigen und nicht sinken, dürfte dies die Kurse von Schwellenländeranleihen belasten. Auch wenn sich der Ausblick für das globale Wachstum eintrüben sollte, wäre dies negativ für Schwellenländer. Und dann sind da natürlich noch die geopolitischen Risiken.
Derzeit liegt sehr viel Kapital in Geldmarktfonds. Ist das perspektivisch eine gute Idee? Welche Alternativen gibt es?
Eichmann: Für Anleger mit einem kürzeren Anlagehorizont, die ein geringes Zinsänderungsrisiko bei hoher Kreditqualität bevorzugen, können Anlagen in Geldmarktfonds bei den aktuellen Renditen eine gute Idee sein. Für diejenigen, die sich das aktuelle Zinsniveau einloggen möchten, weil sie Zinssenkungen der Zentralbank erwarten, dürften Rentenfonds mit einer längeren Zinsbindung vermutlich die sinnvollere Anlage sein.
Schauen wir noch kurz auf die risikoreicheren Unternehmensanleihen. Wie sind hier die Perspektiven?
Eichmann: Die Aussichten bleiben unserer Auffassung nach gut, insbesondere für Anleihen guter Bonität. Sinkende Zentralbankzinsen bei gleichzeitig durchschnittlich soliden Unternehmensdaten dürften den Markt für Unternehmensanleihen weiter stützen. Da wir keine Rezession erwarten und die Renditen nach wie vor recht attraktiv sind, halten wir an unserer positiven Einschätzung fest. Die Neuemissionen wurden überwiegend sehr gut aufgenommen, auch dies ist ein gutes Signal. Allerdings fallen die Zinsaufschläge gegenüber Staatsanleihen schon deutlich geringer aus als noch vor einem Jahr. Daher ist das weitere Einengungspotenzial und damit die Chance auf Kursgewinne begrenzt. Dies gilt insbesondere für den Markt von Euro-Hochzinsanleihen, der nach der starken Rallye aus unserer Sicht momentan bereits recht teuer ist.
Zum Abschluss: Werden die Zinssenkungen, so weit gehen, dass wir schon bald wieder in eine Nullzinsphase kommen?
Nein, das erwarte ich nicht. Dafür gibt es zu viele strukturelle Inflationstreiber – die hohe Staatsverschuldung, die Ausgaben für den ökologischen Umbau der Wirtschaft und nicht zuletzt die geopolitischen Unsicherheiten, die massive Rüstungsinvestitionen notwendig machen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Eichmann.