- Mit einem gesunden Lebensstil und einer positiven Einstellung lässt sich die Lebenserwartung steigern
- Im Alter werden die körperlichen und geistigen Fähigkeiten nicht zwangsläufig abgebaut
- Der Übergang in die Rente sollte viel flexibler erfolgen als das Arbeitsrecht es momentan zulässt, fordert Altersforscher Voelpel
Herr Voelpel, wo erreichen wir Sie gerade?
Ich bin in meinem Büro in der Jacobs University. Raten Sie doch mal, was ich gerade mache.
Sie sitzen an Ihrem Schreibtisch und telefonieren, oder?
Nein, ich mache gerade einen Kopfstand ohne die Hände zu benutzen.
Das hört man Ihnen nicht an. Aber warum machen Sie das?
Das Grundproblem ist: Ich habe nie Zeit. Schon gar nicht, um zwei Stunden ins Fitnessstudio zu gehen. Das geht ja vielen so. Wer sich Zeit für Sport nimmt, muss es normalerweise von seinem Schlafpensum abziehen oder von der Zeit mit der Familie. Deswegen habe ich aus der Not eine Tugend gemacht und versuche, Bewegung effektiv in den Alltag zu integrieren. Ich nenne es das Minus-Training: Fitness zu machen und dabei sogar noch Zeit zu gewinnen, etwa beim Sprint zum Meeting oder zum Zug.
Und wie funktioniert das?
Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass nicht etwa die Ausdauersportarten die besten Ergebnisse erzielen, sondern kurze, intensive Belastungen. Heute bin ich mit meinem Kind im Arm zur Kita gesprintet und danach zum Zug. Jeder kleine Sprint führt zu einem Ausstoß von Wachstumshormonen, beispielsweise von Testosteron, und fördert damit die Neubildung von Zellen. Das ist ungeheuer effektiv und klappt unabhängig vom Alter. Hinzu kommt: Die Art, wie wir zwischen 30 und 50 mit unserem Körper umgehen, beeinflusst stark, wie fit wir in den Jahren jenseits der 60 sind.
Ihr Bestseller zum Thema Demografie trägt den Titel „Entscheide selbst, wie alt du bist“. Ist es tatsächlich so einfach? Worauf kommt es dabei an?
Neben einem gesunden Lebensstil ist aus meiner Sicht wichtig, eine positive Einstellung zum Alter zu entwickeln. Vereinfacht gesagt: Wer das Alter positiv sieht, lebt statistisch betrachtet 7,5 Jahre länger. Wer nicht übermäßig Alkohol trinkt und raucht sogar 18 Jahre. Wer sich bewegt, kann 6,5 Jahre dazugewinnen.
Dann ist 60 also tatsächlich das neue 40?
Jede Generation wird statistisch gesehen etwa 7,5 Jahre älter als die Generation davor. Wir leben also wahrscheinlich 7,5 Jahre länger als unsere Eltern, die wiederum 7,5 Jahre länger als die Großeltern. Das ist ein Fakt. Biologisch sind wir also 15 Jahre jünger als unsere Großeltern. Insofern ist 60 ja beinahe das neue 40. Früher gingen die über 70-Jährigen am Krückstock durch das Dorf. Heute tragen sie Bluejeans und gehen auf Weltreise.
Passen die gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzulande zu diesem neuen Selbstbild?
Nein, vieles ist absolut veraltet. Beispielsweise das Arbeitsrecht, das uns dazu zwingt, mit 67 in Rente zu gehen. Viele Menschen können und wollen länger arbeiten. Der Inder Fauja Singh beispielsweise lief mit 101 noch Marathon, aber wir sollen mit 67 zu arbeiten aufhören. Das passt nicht zusammen.
War das auch der Grund, weshalb Sie das Renteneintrittsalter aus Ihrem Arbeitsvertrag an der Jacobs University Bremen streichen lassen wollten?
Ja, ich wollte diesen Passus streichen. Aber das ist momentan rechtlich nicht möglich.
Was wäre die bessere Alternative zu einem starren Renteneintrittsalter?
Der Übergang in die Rente sollte komplett flexibel gestaltet werden. Wer möchte, sollte auch länger arbeiten dürfen. Wahrscheinlich kann ein Fliesenleger mit 80 nicht mehr arbeiten, weil seine Knie kaputt sind. Dagegen musste ein Nobelpreisträger an der TU München klagen, weil er länger arbeiten wollte. Er durfte lediglich um zwei Jahre verlängern. Das ist absurd. In einem flexiblen System gäbe es wahrscheinlich viele, die länger arbeiten und damit auch länger in das Rentensystem einzahlen würden. In einer Studie der Jacobs University fragten Kollegen Menschen über 50 aus verschiedenen Unternehmen, ob sie in den Vorruhestand gehen möchten. Alle sagten ja. Parallel wurden Frührentner aus denselben Unternehmen gefragt, ob sie wieder arbeiten wollen. Und jeder, wirklich jeder hat das bejaht. Allerdings wollte niemand Vollzeit arbeiten. Flexibilität ist wichtig.
Der Google Chef-Ingenieur Ray Kurzweil sagte kürzlich, genetische Prozesse seien wie eine Software, die umprogrammiert werden kann. Durch Technologie könne der Mensch bis 2045 „praktisch unsterblich“ werden. Für wie realistisch halten Sie solche Prognosen?
Dass sich unser Leben drastisch verlängern wird, ist sehr wahrscheinlich. Ob wir bis 2045 die Unsterblichkeit erreicht haben werden, wage ich allerdings zu bezweifeln. Unser Organismus ist dafür zu komplex. Natürlich sind wir durch unsere Gene programmiert. Wenn wir sie entschlüsseln können, sind viele Dinge möglich. Von sehr einfachen Organismen kann man schon heute das Leben um ein Vielfaches verlängern.
Letzte Frage: Machen Sie immer noch Kopfstand?
Nein, gerade dehne ich mich. Durch die intensiven Belastungen ziehen sich die Muskeln stark zusammen. Das versuche ich auszugleichen.
Alle Meinungsäußerungen geben die aktuelle Einschätzung der DWS International GmbH wieder, die sich ohne vorherige Ankündigung ändern kann. Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Prognosen basieren auf Annahmen, Schätzungen, Ansichten und hypothetischen Modellen oder Analysen, die sich als nicht zutreffend oder nicht korrekt herausstellen können. Wertentwicklungen der Vergangenheit sind kein verlässlicher Indikator für die künftige Wertetwicklung.
DWS International GmbH, Stand: 05.03.2019
CRC 065168 (02/2019)